Warum sollte man überhaupt (ver-)alte(-te) Kampfkünste üben?

Selbstverteidigung?

Talhoffers Fechtbuch, Gerichtliche und andere Zweikämpfe darstellend, Anno Domini 1467, Herne 2003, Tafel 240.

Es ist sehr unwahrscheinlich, dass man bewaffnet als geschulter historischer Schwertkämpfer auf einen gleichfalls bewaffneten geschulten historischen Schwertkämpfer trifft und mittels komplexer Kampftechniken gegen ihn sein Leben verteidigen muss. Für diesen „Ernstfall“ trainiert man also historische Kampfkünste heutzutage nicht. Allerdings werden die grundsätzlichen Fähigkeiten, die man beim erlernen dieser Künste entwickelt (Fitness, Körperbeherrschung, Fallschule und Kampftechniken) in vielen Situationen des alltäglichen Lebens hilfreich sein. Der Schwerpunkt liegt allerdings nicht bei alltäglich anwendbaren Selbstverteidigungstechniken.

Allgemeine bewegungsmotorischen Fähigkeiten kann man sich bei jedem Kampfsport, jeder Kampfkunst, eigentlich jeglicher sportlichen Betätigung aneignen - warum also sollte man überhaupt historische Kampfkünste lernen?

Eine exotische Kampfkunst

Codex Manesse, Seite 287.

Das besondere beim historischen Fechten ist natürlich der enge Bezug zur Geschichte und der damit verbundene Reiz des Exotischen. Die Historischen europäischen Kampfkünste (auch „HEMA“ genannt – Historical European Martial Arts) stellen den Versuch dar, aus geschichtlichen, beispielsweise mittelalterlichen, Quellen Kampftechniken nachzuvollziehen. In Europa besteht das Problem (im Gegensatz bspw. zu Japan), dass die Linie der lehrenden Meister in den meisten europäischen Kampfkünsten seit langer Zeit gebrochen ist. Komplexer Schwertkampf kam langsam aus der Mode, als Großheere und Schusswaffen in Gebrauch kamen. Die Techniken wurden nicht weitergegeben und die Traditionslinie wurde gebrochen. Übrig geblieben sind wenige mehr oder weniger schlecht erhaltene Waffen und einige mehr oder weniger schlecht erhaltene Schriftzeugnisse.

Das Experiment

Schnittest: Durschneiden eines Plastikkanisters mit einem Schwert.

Heutzutage versuchen zahlreiche neu gegründete Fechtschulen, aus den wenigen schriftlichen und bildlichen Überlieferungen nachzuvollziehen, wie genau die einst gelehrten Techniken funktionieren. Ich begreife diese Versuche als Experiment: Niemand von uns lebte in dieser Zeit und ich kenne niemanden, der bspw. in einem Schwertkampf auf Leben und Tod gegen einen geschulten historischen Fechter bestehen musste. In historischen Zeiten hing häufig das Leben von einigen gelernten Kampftechniken ab - es gab zeitweise sogar ritualisierte gerichtliche Duelle, die mit festgelegten Waffen bis zum Tode geführt wurden. Dagegen versuchen wir heutzutage, durch studieren und probieren möglichst nahe an die Effektivität der einstmals gelehrten Techniken heranzukommen – im Fechttraining werden diese Techniken sportlich umgesetzt und nachempfunden. Schließlich muss das Verletzungsrisiko minimiert werden.


Geschichte zum Anfassen

Schwert in der Sammlung des Deutschen Historischen Museums (Berlin).

Und hier nun liegt der besondere Reiz der Historischen Kampfkünste: Das Erforschen alter europäischer Kampftechniken.

Dieses (wieder) neu entstehende Wissen ist am Ende natürlich auch hilfreich für Historiker, Filmemacher, Buchautoren, etc. Es trägt zum Verständnis der jeweiligen geschichtlichen Epochen bei und ist in gewisser Weise auch Traditionspflege. Im Historischen Fechten verschmelzen wunderbar sportliche Aspekte mit dem Nimbus einer dunklen und brutalen Vergangenheit.

Spaß an der Sache

Zwei Fechtschüler wenn der Übungsleiter mal nicht da ist.

Am Ende bereitet diese Mischung aus Sport, Experimentieren, Geschichte und Präzisionsarbeit einfach auch Freude. Dabei meine ich nicht nur die Endorphine, die allgemein nach sportlichen Aktivitäten ausgeschüttet werden, sondern auch das nette Beisammensein mit Gleichgesinnten, das Gefühl, der Geschichte ein Stück näher gekommen zu sein und vielleicht auch wieder etwas dazugelernt zu haben. 

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